Neulich habe ich mich über den Minimalistischen Lebensstil unterhalten. Ästhetisch, aufgeräumt und klar – das Image vom Minimalismus zieht mich an.

Wenn ich mich so im Internet, auf Pinterest und in Büchern zum Thema umschaue, dann lese ich Berichte über die befreiende Wirkung, die sich mit einem minimalistischen Lebensstil einstellt. Und  ich verstehe sehr gut wie ansprechend ein freier, leerer Raum wirkt. Und wie „decluttered“ der Geist plötzlich ist, wenn all die Entscheidungsoptionen plötzlich nicht mehr da sind. Anstelle der 5 Tassen gibt es eine einzige Tasse, die in Ehren gehalten wird – zum Beispiel.

Der Gedanke beim Minimalismus ist bewusster Verzicht, um Platz für das wesentliche zu Schaffen. Es ist das nicht-anhaften von Dingen, die wir nicht nutzen.

Der bewusste Lebensstil ist bewundernswert. Ja, und dann gibt es mich mit meinen divers zerstreuten Hobbies in alle möglichen Richtungen. Von Wassermalfarben, Nähen und Häkeln bis hin zu Gießharz, Dremmeln und Schneideplottern ist alles dabei. Und es kommen immer und immer wieder neue Interessen dazu. Einige probiere ich einfach nur mal aus und merke, oh das ist vielleicht doch nichts für mich (zum Beispiel das Nähen von Kleidern; für mich unglaublich kompliziert und eine richtige Feinarbeit). Andere begeistern mich noch ganz lange – Häkeln im Winter finde ich spaßig, die Arbeit mit Gießharz ist für mich auch eine Freude und Plotterarbeiten sind was Feines!

Kurz gesagt; In unserem Haus gibt es sehr viele Gegenstände („Konsumgüter“) von mir, und einige davon bleiben monate- oder manchmal sogar jahrelang ungenutzt. Auch bei den Kleidern ist es nicht anders. Ich habe unglaublich viele Klamotten und einige davon trage ich jahrelang nicht.

Wegschmeißen?

In der Vergangenheit hatte ich ein paar Phasen in denen ich vieles ausgemistet habe. Kein so gute Idee. Heute würde mir das nicht mehr passieren, denn ich weiß, dass ich viele Hobbies mit der Zeit wieder aufnehme. Und auch die nicht getragenen Kleider in der Zukunft tragen werde.

Dann gibt es noch Hobbies, bei denen ich merke, dass ich diese auf keinen Fall länger durchziehen werde. Ein Beispiel ist die Violine. Soooo lange habe ich damit geliebäugelt, Violine spielen zu lernen. Als ich die Violine dann hatte, wurde es mir einfach zu kompliziert. Die Töne waren quietschig und dass ich Linkshänder bin hat das lernen auch nicht unbedingt vereinfacht… Aber was für mich nicht mehr von Nutzen ist, darüber kann sich ein anderer freuen. Die Violine wurde so gut wie neu einem Violinenspieler bei eBay verkauft.

Im Endeffekt ist doch das wichtigere Thema, dass wir uns von den Dingen lösen können, die wir nicht mehr nutzen wollen. Und dass wir diese, im Idealfall, weiterverkaufen oder verschenken können.

Minimalismus und das „Fantasie-Ich“

Bei einigen Minimalisten ist die Rede vom „Fantasie-Ich„; das ist das Ich, von dem wir uns wünschen, dass wir so wären, und der Grund weswegen wir einige Sachen kaufen, obwohl wir diese Dinge nicht „sind“. Wir phantasieren davon, Künstler zu sein und kaufen uns deswegen eine Kunststaffel. Diese rühren wir dann jedoch nicht an. Warum? Na, weil wir keine Künstler sind. Das ist nur unser Fantasie-Ich.

Und genau diesen Gedankengang finde ich unheimlich einschränkend.

1. Wie werden wir denn Künstler, wenn wir uns keine Kunststaffel holen? Und Kurse zum Thema Kunst kaufen? Und einen Zeichenblock und Bleistifte?

Und 2.: Wieso haben wir so eine vorgefertigte Meinung davon, wer wir sind? Oder wer wir zu sein haben? Weshalb sollten wir unser Ich definieren müssen? Es ist doch kein Wunder, dass wir nie mit dem Zeichnen anfangen, wenn wir uns nur eine Kunststaffel holen wenn wir Künstler „sind“. Was kam zu Erst? Die Henne oder das Ei? Vom Haben zum Sein oder vom Sein zum Haben? Wir können doch nur werden, wenn wir anfangen zu tun. Und ob wir es etwas tun werden, finden wir heraus, wenn wir die nötigen Utensilien dazu haben.

Wenn der vorherrschende Gedanke von dem Konsum immer jener von „brauchen“ und „sein“ ist, dann verwehren wir uns  letztlich die Chance, jemand zu werden, der wir noch nicht sind. Dies ist kein Affront an den bewussten Umgang mit Ressourcen, sondern ein kleiner Hinweis, dass Verzicht nicht immer so toll ist. Verzicht kann uns besinnen, er kann uns allerdings auch beschränken.

Du bist das, was du machst. Und du machst, mit dem, was dir zur Verfügung steht. Die eigentliche Frage ist doch jene; Kaufe oder Konsumiere ich, um mich von etwas abzulenken? Und wenn ja; tut mir das jetzt Gut? Oder fühle ich mich im Anschluss besser? Wenn ja, dann go for it! Dieses Leben ist zum Leben da, zum experimentieren, ausprobieren und ja, auch zum konsumieren.

Die Sonnenseite des Maximalismus

Im Maximalismus ist die Frage: Will ich das machen? Es zählt nicht wer du BIST, es zählt was du möchtest. Die Einstellung ist Lebensbejahend und dynamisch. Wir sind keine Form, wir erstellen die Form. Und wir verändern sie, immer und immer wieder. Wenn wir im Laufe der Zeit merken, dass wir unsere Kunststaffel nicht wirklich nutzen, dann besteht die Chance, diese zu verschenken oder wieder zu verkaufen.

Die Schattenseiten des Maximalismus

Es gibt den Konsum aus Neugierde und Experimentierfreude. Das „Ja zum Leben“. Das Ja zur Dynamik, Weiterbildung, Selbsterfahrung und Horizonterweiterung. Und dann gibt es da die Schattenseite;

Den Konsum aus Langeweile und den Konsum, in dem sich die Person über ihren Besitz definiert. Anstelle der Freude, die wir empfinden, wenn wir etwas neues ausprobieren, ist es der Besitz an sich, über den wir uns definieren. Um eine Leere zu füllen? Wenn wir diese Tendenzen an uns entdecken, kann es hilfreich sein, in sich hinein zu fühlen und herauszufinden, was tatsächlich in unserem Innenleben vor sich geht.

Die Sonnenseite des Minimalismus

Der bewusste Umgang mit Ressourcen. Entschleunigung. Achtsamkeit mit sich Selbst. Besinnung. Das sind die Sonnenseiten des Minimalismus. Plus; nicht dieses ständige Entscheiden müssen. Entscheidungen kosten uns Energie und wir treffen tagtäglich so viele Entscheidungen, dass wir uns das Leben erleichtern, wenn wir unsere Auswahl limitieren. Wir machen Platz für das Wesentliche, im Kopf und im Raum, und somit in unserem Ganzen leben.

Die Schattenseiten des Minimalismus

Ordentlich, Bescheiden und Frei. Minimalismus spiegelt einen klaren Geist wieder, der dem weltlichen Konsum(drang) die Stirn bietet.

Aber wir sind weltliche Wesen, wir leben auf dieser Erde um Erfahrungen zu machen, das Leben zu kosten und zu fühlen, mit all unseren Sinnen. Wenn wir allen neuen Erfahrungen und Experimenten entsagen, weil wir uns dazu entscheiden, nicht zu konsumieren – berauben wir uns dann möglicherweise am eigenen Wachstum? An einer gewissen Selbsterkenntnis? Neuen Erfahrungen?

Yamas – Die ethischen Gebote im Yoga

Im Yoga, der den Menschen in seiner Ganzheit erkennt und weit über das Lernen von Asanas (also den Posen im Yogastudio) hinausgeht, gibt es die „8 Limbs“; also die acht Glieder bzw. Studen des Yoga. Die erste Stufe sind die Yamas – die ethischen Gebote. Auf eines dieser Gebote möchte ich hier näher eingehen.

Aparigraha – Bescheidenheit, in Bezug auf den Besitz und auf die Weise, wie wir mit anderen umgehen. Mir gefallen die englischen Worte hier sehr gut: „non-Attachment“, „non-Greediness“.

Es lohnt sich, einmal in das eigene Muster hineinzuschauen, wenn es um den Konsum und das Häufen von Besitztümern geht. Warum kaufen wir? Sind wir „attached“ zu unserem Besitz? Definieren wir uns darüber? Exzessives Häufen und Horten und erneutes Kaufen könnten innere Unzufriedenheit oder gar innere Leere ausdrücken. Achtsamer Konsum und das ausprobieren von neuem dagegen ist eine Art, dieses Leben zu feiern und an sich Selbst zu wachsen.

Ein paar letzte Worte

Wenn wir vieles kaufen und viel experimentieren, dann ist es unsere Aufgabe, achtsam mit den Dingen umzugehen. Ein kleiner Gedanke daran, woher unsere Materialien und Besitztümer herkommen, ist das A und O; ganz besonders wenn wir zum Maximalismus neigen. „Entsorgung“ bzw. das Recycling ist eine wichtige Aufgabe. Im Idealfall verkaufen, spenden oder verschenken wir all unsere kleinen ungenutzten Hobbies, so dass sich der nächste daran erfreuen kann.

 

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